Der Körper als Unbewusstes

Warum die Integration von Körperwissen zur Weiterentwicklung des eigenen Bewusstseins notwendig ist.

 

Die Dominanz des „Kopfes“ und die Präferenz auf eine kognitive Auseinandersetzung mit Themen, ob nun im Außen oder im eigenen „Inneren“, lässt die Weisheit des Körpers meist außer Acht. Dies liegt auch daran, dass wir als Spezies, die Sprache des Körpers oft kaum noch verstehen bzw. wahrnehmen. Als Wesen, die einen Kopf, bzw. über ein Gehirn mit erstaunlichen Fähigkeiten verfügen, leben wir dennoch in einem Körper, der in vielem die Biologie der Tiere teilt. Das gilt insbesondere für Phänomene, die in der Trauma-Terminologie als Flight (Flucht), Fight (Kampf), Freeze (Totstellen) und Fawn (Schmeicheln) bezeichnet werden.

 

Diese reflexartig anspringenden und in der Biologie von uns Menschen liegenden Reaktionsweisen, werden als Folge von Sozialisationsprozessen und Erziehung häufig unterdrückt oder deformiert. Beobachtet man eine Gazelle, die - erstaunlich genug - den Angriff eines Löwen unverletzt in einer Freeze-Reaktion überstanden hat, kehrt auf fast magische Weise sukzessive wieder Leben in deren Körper zurück. Die Gazelle atmet tief in den Bauch, nachdem der Atem fast völlig erloschen war und die Beine zittern die im Körper (im Freeze) gehaltene Erregung aus. Danach steht die Gazelle auf und läuft davon. Der menschliche Organismus wird früh darauf trainiert, sich nicht zu bewegen. Kinder sollen stillsitzen und ihre Bewegungsimpulse unterdrücken. Der Umgang mit Affekten ist oftmals ein Coaching-Anliegen, da der Umgang mit eigenen starken Gefühlen in der Kindheit nicht erprobt oder konstruktiv erfahrbar werden durfte. Gefühle werden unterteilt in positive und negative Gefühle. Wut, Hilflosigkeit, Angst und Gefühle von Überwältigung lösen potentiell die 4 F´s aus, wenn es keine Kapazität (Container) für den Umgang damit gibt.

 

Ein wütendes Kind, das durch diese Gefühle eigene Grenzen nicht zum Ausdruck bringen darf (ich will die Tante nicht zum Geburtstag küssen müssen) geht vermutlich von einer Fight (Kampf) in eine Freeze (Totstellen) Reaktion, damit die Situation überlebt werden kann. Die eigentlichen Gefühle werden „weggedrückt“ (verdrängt). (An dieser Stelle sei ausdrücklich angemerkt, dass dieser Mechanismus dem sozialen Überleben dient (Fawning – Maya Angelou)). „Dann mache ich es halt, auch wenn ich es nicht will“. In Situationen realer großer Bedrohung kann es lebensrettend sein, sich so zu verhalten (reales Erleben von angedrohter Gewalt und Sympathisieren mit dem Täter). Der Verlust der Authentizität (des eigenen Selbst) ist der Preis für den Erhalt der Beziehung. Gabor Maté beschreibt das in seinem Buch: „The Myth of Normal“. Er geht so weit zu sagen, dass viele Krankheiten darauf zurückzuführen sind, dass Gefühle verdrängt, im Körper als gestaute Energien gespeichert und nicht verarbeitet werden konnten. Die Unterdrückung des eigenen Selbst wird in der Sozialisation anerkannt, der „negativen“ Gefühle schämt man sich. Gefühle von Überwältigung werden pathologisiert und zum Burn-Out klassifiziert. Sie können kein Bestandteil eines funktionierenden Menschen bzw. Teil menschlichen, biologischen Erlebens sein. Durch diese Stigmatisierung bleibt als Lösung nur Verdrängung. Kommt die chronische Verdrängung als Teil der menschlichen Erfahrung und des eigenen Selbsterlebens ins Bewusstsein, entsteht die Not, wie dies integriert werden kann.

 

Meine persönliche Erfahrung und die, mit vielen KlientenInnen, hat mir gezeigt, dass kognitives Verstehen etwas in uns nicht löst.  Ein Residuum von körperlich (unerwünschten) Reaktionen oder Erleben bleibt. Etwas in uns lässt sich nicht kognitiv steuern, bricht in stressigen Situationen reflexartig durch und hat dadurch ein Momentum von Überwältigung. Das zeigt sich in Körpergeschehen, das aufwallt, starke Emotionen, die sich nicht steuern lassen, nicht kontrollierbar scheinen und nicht dem direkten Zugriff unterliegenden. Die automatischen Überlebens-Reaktionen des Körpers lassen sich kognitiv nicht direkt steuern.

 

Die klassischen Verfahren aus Coaching, Beratung und Therapie zielen auf das Verstehen der Situation und / oder der inneren Glaubenssätze und Perspektiven ab. Der Körper und die getriggerten Survival-Reaktionen lassen sich dadurch nur bedingt beruhigen. Der Körper beruhigt sich indem die inneren Zustände gefühlt werden und eine innere Beziehung zu den Phänomenen aufgebaut wird. Das fühlt sich äußerst kontra-intuitiv an, da die beängstigenden Gefühle aus dem Grund verdrängt wurden, weil sie so verstörend, erschreckend und überwältigend wirken. Der Körper bleibt dann in einem Zustand von Alarm.

 

Wie kann das geheilt werden….

 

Verdrängte Gefühle, Körpererleben, dass ich nicht haben will, wird abgewehrt. Dadurch ist man abgespalten oder getrennt von den Phänomenen, die als so belastenden und schrecklich wahrgenommen werden. Besteht keine Beziehung zu einem inneren Erleben, kann es schwer beeinflusst werden. Daher ist der Aufbau einer absichtslosen, wahrnehmenden Beziehung zu den abgespaltenen bzw. abgetrennten Gefühlszuständen ein Teil der Lösung. In einer haltenden Beziehung mit einem anderen Menschen (z.B. Berater, Coach, Therapeut) wird es möglich, sich diesem inneren Erleben zuzuwenden.

 

Carl Rogers sagte dazu: „Es geht nicht darum, die Gefühle aus dem Kopf zu bekommen oder sie darin zu verstecken, sondern darum, sie mit Akzeptanz zu durchleben. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Gefühlsleben stellt die Basis für das persönliche Wachstum dar. Du sabotierst Dich, wenn Du Emotionen umgehst oder unterdrückst.“

 

Die langfristige Wirkung ist, dass alles was sein und wahrgenommen werden darf, sukzessive die eigene Kapazität für emotionale und körperliche Zustände erweitert. Insbesondere die Zustände und Phänomene, die verdrängt und nicht wahrgenommen werden konnten, um funktionieren und / oder performen zu können. Langfristig verdrängte Erregungsmuster im Körper können sich manifestieren. Je mehr ich zulassen kann, was ich wahrnehme, um so offener, freier, im Kontakt mit mir und anderen kann das Leben erlebt werden. Je mehr Kapazität ich habe, umso weniger muss ich mich schützen und Dinge abwehren, die sowohl aus dem eigenen Inneren oder von außen zu kommen scheinen.

 

Das Ziel ist es in einem lebendigen Kontakt mit mir und anderen sein zu können, weil ich fühle.

 

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Herzlichst Cosima Lindemann-Stübbe 

 

Quellen:

 

#Bessel Van Der Kolk

#Gabor Maté

#Maya Angelou

#Russel Kennedy

#Luis Mojica

#Carl Rogers